Schlafdauer – wieviel Schlaf benötigen wir?
Wann unsere biologischen Einschlafzeiten sind kann man inzwischen über den RNA-BodyClock Chronotypen-Haarwurzeltest ermitteln. Jedoch werde ich im gleichen Atemzug häufig gefragt, ob man auch den individuellen Schlafbedarf ermitteln kann. Meine Antwort:
Jain
Es geht definitiv nicht über eine Testmethode, vergleichbar der des oben angesprochenen RNA-Tests. Es geht aber prinzipiell über die Methode des Selbsttests. Hierzu muss ich jedoch die Möglichkeit haben, als gesunder Mensch mindestens 14 Tage bei Müdigkeit einschlafen zu können/wollen, um dann auch ohne externen Impuls aufwachen zu können. Erst dann habe ich die Chance in meinen natürlichen Schlaf-/Wachrhythmus zu fallen, es sei denn, ich lebe dies tatsächlich bereits im Alltag.
Diese Option haben/nutzen jedoch nur die wenigsten. Selbst im Urlaub ist es für viele wichtiger, der erste am Buffet zu sein, oder das Handtuch früh morgens schon mal über die Liege am Pool zu werfen. Somit ist die Schlafdauer immer wieder Anlass für Studien, um die optimale Schlafdauer herauszufinden.
Wissenschaftler des Institute of Science and Technology for Brain-Inspired Intelligence, Fudan University, Shanghai, China, haben in einer Studie Daten von fast 500.000 Erwachsenen im Alter zwischen 38 und 73 Jahren untersucht, die in der britischen Datenbank „UK Biobank“ gesammelt wurden. Die Probanden wurden zu ihrer psychischen Gesundheit sowie ihrem Schlafverhalten befragt. Sie nahmen zudem an einer Reihe kognitiver Tests teil. Bei rund 10 Prozent der Probanden lagen genetische Daten sowie MRT-Bilder des Gehirns vor.
Ich möchte jetzt nicht in aller Ausführlichkeit auf diese Studie eingehen. Das komplette Abstract in Deutsch habe ich ans Ende dieses Artikels gehängt.
Die Kernbotschaft lautet, jedoch: 7h Schlaf reichen aus!
Schlafdauer – Normal und nicht normal
In meinen Augen zeigt sich hier ein Paradoxon der Wissenschaft. Auf der einen Seite versuchen wir zunehmend die Individualmedizin zu fördern, auf der anderen Seite schaffen wir ständig neue Bereiche, die ein „Normal“ definieren und somit im Umkehrschluss alles andere als „nicht normal“ klassifizieren. Diese Studie schafft in meinen Augen ein gefährliches neues „Normal“ in Sachen Schlaf. Ein solcher Satz „7 Stunden Schlaf reichen aus“ kann sich schnell zur Baseline für alle Bereiche unseres Lebens, vor allem die Arbeitszeiten, entwickeln, zu Lasten aller, denen 7h nun mal nicht ausreichen – und das ist eher die Mehrzahl.
Schlafbedarf, tatsächliche Schlafdauer und Schlafempfehlung
Zunächst ist es wichtig den Unterschied zwischen Schlafbedarf und Schlafdauer zu verstehen:
Schlafbedarf: Dies beschreibt die Zeit, die der Körper braucht, um sich vollständig psychisch und physisch zu regenerieren. Zum natürlichen Schlafbedarf kommt dann noch der Bedarf hinzu, der sich durch zusätzlich entstandenen Schlafdruck aufgebaut hat. Es gibt eine Vielzahl an Dingen, die Einfluss auf die Entstehung von zusätzlichem Schlafdruck haben. Dies können zu wenig Schlaf an den Vortagen, Krankheit, erhöhte mentale Belastung, aber auch genetische Veranlagung sein.
Für mich der wichtigste Aspekt: Der gesunde Körper beendet in der Regel den Schlaf von sich aus, wenn die Regenerationsleistung erbracht ist. Das ist natürlich sehr vereinfacht, aber prinzipiell ist dies der natürliche Ablauf bei jedem Lebewesen.
Schlafdauer: Diese beschreibt die tatsächliche Zeit, die geschlafen wurde, völlig unabhängig von körperlichen Prozessen. Die Schlafdauer wird dabei von vielen „Begrenzern“ beeinflusst, wie z.B. Wecker, Lärm, Kinder, Partner, psychische Auslöser die in Schlafstörungen enden. Einschlafstörungen gehören per se genaugenommen nicht zu diesen Begrenzern, da sie potenziell einem „Ausschlafen“ nicht entgegenstehen. Sie können jedoch den Zeitraum zusätzlich verkürzen, wenn die Aufwachzeit terminiert ist.
Schlafempfehlung: Jegliche begrenzende Schlafempfehlung, und dies ist meine Sorge, stellt sich nun pauschal über den natürlichen Schlafbedarf, wirkt somit als künstlicher Begrenzer. Zudem wird den Menschen, die einen natürlicherweise geringeren/höheren Schlafbedarf suggeriert, dass ihr Körper in irgendeiner Weise nicht natürlich agiert.
Die Konsequenz: Eine ausgesprochene Empfehlung beinhaltet natürlich express verbis kein richtig oder falsch, hat aber den Charakter eine Definition. Und somit kann/wird es sich in einer auf Produktivität getrimmten Gesellschaft schnell zum Benchmark entwickeln.
7h vs. 8h
Noch 1979 hat eine Erhebung des Schlafmedizinischen Instituts in München eine durchschnittliche Schlafdauer von 8,5h an Werktagen innerhalb der deutschen Bevölkerung ergeben. Das bedeutet, damals haben die meisten Menschen tatsächlich noch ausgeschlafen. 2013 hat eine weitere Erhebung nur noch 7h, und 2017 nur noch 6,5h ermittelt. Sieht man sich im gleichen Zeitraum die Entwicklung psychosomatischer Krankheiten, Depressionen und Burnouts an, dann passt dies nicht zu der Annahme, dass 7h Schlaf ausreichen.
Auch BodyClock verwendet bei seiner wissenschaftlichen Ermittlung des Chronotyps übrigens den bisherigen Standard von 8h durchschnittlichen Schlafbedarfs.
Zu wenig Schlaf / Zu viel Schlaf
Was ist eigentlich zu viel bzw. zu wenig Schlaf? Grundsätzlich gilt für beides:
Alles, was dem natürlichen Regenerationsprozess schadet
Zu wenig Schlaf ist dabei einfach zu definieren. In der Regel ist es ein Begrenzer (z.B. eben Arbeitszeiten/Wecker), der dafür sorgt, dass der Schlaf seine Arbeit nicht zu Ende führen kann. Das ist wie in der Werkstatt. Wenn der Mechaniker nach 2/3 der Arbeit aufhört, ist das Auto eben noch nicht repariert.
Was aber ist zu viel Schlaf? Und genau da kommen wir in Definitionsnot. Wie schon angedeutet, müsste der Schlaf schädigende Auswirkungen haben, um „zu viel“ zu schlafen. Genau an diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, ob „zu viel Schlaf“ ein Symptom einer Schädigung oder tatsächlich Ursache für eine Schädigung ist. Sprich: Schlafen wir zu lange, weil eine dauerhafte körperliche Belastung einen längeren Regenerationsprozess benötigt, oder schlafen wir als gesunde Menschen ohne jegliche Regenerationsnot länger als wir müssten?
Ich kenne keine Studie, die hier klar differenziert, auch nicht die vorliegende, was sich auch aus folgender Formulierung herauslesen läßt:
„Wir können zwar nicht endgültig sagen, dass zu wenig oder zu viel Schlaf kognitive Probleme verursacht, aber unsere Analyse, die Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, scheint diese Idee zu unterstützen.“Zitat Studie (übersetzt)
Eine nach wie vor ungeklärte Frage ist also: Wie kann man zu lange schlafen, ohne dass eine Notwendigkeit der Regeneration besteht?
Alternativ besteht einzig die Möglichkeit, dass der Körper tatsächlich länger schläft, weil er einen hohen physischen oder eher psychischen Regenerationsdruck hat, dabei aber sozusagen „den Bogen überspannt“. Es gibt viele Anlässe, bei denen sich der Körper über einen langen Zeitraum regenerieren muss, so wie bei einem Auto, das man nicht an einem Tag reparieren kann. Eine Möglichkeit wäre, dass der Impuls zum Wachwerden bzw. zur Reduzierung des Melatoninspiegels ausbleibt, zu schwach ist oder zu spät kommt. Hier kann es mehrere Ursachen geben, wie z.B. Probleme mit der morgendlichen Cortisolproduktion (CAR – CortisolAufwachReaktion). Aber egal wie wir es drehen, die Ursache der Schädigung durch zu viel Schlaf wäre auch dann nicht der Schlaf selbst, sondern eben der entsprechende Grund für den ausbleibenden oder gestörten Impuls.
Empfehlung National Sleep Foundation
2015 veröffentlichte die National Sleep Foundation ein Empfehlungspapier zur Schlafdauer. Sie berief ein 18-köpfiges multidisziplinäres Expertengremium ein, das 12 Interessengruppen vertritt, um wissenschaftliche Literatur zu Empfehlungen für die Schlafdauer zu bewerten. Sie ermittelten Expertenempfehlungen für ausreichende Schlafdauern über die gesamte Lebensdauer mit der RAND / UCLA Angemessenheitsmethode. Ergebnis hier: Für die Altersgruppe zwischen 18 und 64 lautet die Empfehlung 7-9h. Der wichtige Unterschied. Hier wurden verschiedenste Aspekte in diese Übersicht mit einbezogen, und eine Bandbreite ermittelt, innerhalb der man sich in Sachen Schlaf bewegen sollte. Selbst bis zu 10h Schlaf wurden hier noch als „angemessen“ bewertet. Wichtig ist hier zu verstehen, dass „evtl. angemessen“ nicht „empfohlen“ bedeutet. Es bedeutet, dass es für manche Menschen eben, je nach genetischer Prädisposition, noch ausreichend bzw. nicht zu viel sein kann (!). Im Bereich „evtl. angemessen“, sollte man sich jedoch jeden Menschen individuell ansehen.
Fazit:
Meines Wissens gibt es bisher keinen Beleg dafür, dass Schlaf selbst primäre Ursache für eine Schädigung ist, sofern er seinem natürlichen Prozess folgt. Kann er seinem natürlichen Prozess nicht folgen, dann auf Grund einer entsprechenden Fehlfunktion. Somit wäre aber dann diese die eigentliche Ursache für die Schädigung, und der zu lange Schlaf nur die Folge daraus. Um es wieder mit dem Auto zu vergleichen:
Eine lebensgefährlich verletzte Person hat nur 10 Minuten, um ins Krankenhaus zu kommen. Der Krankenwagen bleibt aber in einem Stau stecken und kommt dadurch erst nach 12 Minuten an. Somit ist nicht der zu lange Transport die Ursache dafür dass er gestorben ist, sondern der Stau.
Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!
Jeder Körper braucht seine eigene Zeit um zu regenerieren. Diese setzt sich aus genetischer Prädisposition und entstandenem Schlafdruck zusammen. Und nur weil nun eine Studie weniger Schlaf empfiehlt, bedeutet dies nicht, dass alle Körper von sich aus dieser Empfehlung folgen und den evolutorischen Sprung vornehmen, den Vorgang, der vorher 8h gedauert hat, nun in 7h zu meistern.
Deswegen würde ich eher dazu tendieren, diese Empfehlung in eine „Mindestanforderung“ umzumünzen. Dann wir ein Schuh draus.
Wer aber pauschal 7h Schlaf als ausreichend darstellt, sollte sich darüber im Klaren sein, was er damit lostreten kann.
Abtract Übersetzt:
Schlafdauer, psychische Störungen und Demenz sind bei älteren Erwachsenen eng miteinander verbunden. Die zugrunde liegenden genetischen Mechanismen und strukturellen Veränderungen des Gehirns sind jedoch unbekannt. Unter Verwendung von Daten der UK Biobank für Teilnehmer hauptsächlich europäischer Abstammung im Alter von 38–73 Jahren, darunter 94 % Weiße, identifizierten wir einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen Schlaf, mit etwa 7 Stunden als optimaler Schlafdauer, und genetischen und kognitiven Faktoren, Gehirnstruktur , und psychische Gesundheit als Schlüsselmaßnahmen. Zu den Gehirnregionen, die dieser Verbindung am deutlichsten zugrunde liegen, gehörten der präzentrale Kortex, der laterale orbitofrontale Kortex und der Hippocampus. Längsschnittanalysen ergaben, dass sowohl eine unzureichende als auch eine übermäßige Schlafdauer signifikant mit einem Rückgang der Kognition bei der Nachuntersuchung einhergingen. Darüber hinaus identifizierten Mediationsanalyse und Strukturgleichungsmodellierung ein einheitliches Modell, das polygene Risikobewertung (PRS), Schlaf, Gehirnstruktur, Kognition und psychische Gesundheit umfasst. Dies deutet darauf hin, dass mögliche genetische Mechanismen und strukturelle Veränderungen des Gehirns der nichtlinearen Beziehung zwischen Schlafdauer und Kognition und psychischer Gesundheit zugrunde liegen könnten.