Nobelpreis Chronobiologie – Ein Nobelpreis ist die höchste Auszeichnung für Wissenschaftler, aber auch für die jeweilige Wissenschaft. Nun haben die 3 US-Amerikaner Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für ihre Forschungen auf dem Feld der Chronobiologie erhalten. Dies ist für die Wissenschaft der Chronobiologie ein wichtiges Ereignis. Endlich tritt sie medial verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und zeigt, dass weit mehr dahintersteckt als nur das Thema Sommerzeit.
Die innere Uhr von Fruchtfliegen und Menschen
Über Studien an Fruchtfliegen gelang es Ihnen schon in den 90er Jahren, den Circadianen Rhythmus (Schlaf-Wach-Rhythmus) zu ergründen. Im Labor konnten sie mehrere Gene isolieren, die die biologische Uhr kontrollieren. In einem dieser Gene fanden sie den “Bauplan” für ein Eiweiß, das sich über Nacht in den Zellen von Lebewesen anhäuft und tagsüber wieder abbaut.
Hall, Rosbash und Young konnten aber noch weitere kooperierende Proteine ausfindig machen, die die Taktung der inneren Uhr von Lebewesen vorgeben. Auch dass diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, konnten die drei Forscher aufzeigen.
Nobelpreis Chronobiologie – „Hochverdient und überfällig“
„Hochverdient und überfällig“ bezeichnet Wissenschaftsautor Peter Spork diese Auszeichnung. Diese Erkenntnisse haben nicht nur Auswirkungen auf eine bestimmte Gruppe von Menschen zu einer bestimmten Zeit, sondern auf alle fast 8 Mrd. Menschen dieser Welt, 24h am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr. Die Chronobiologie ist keine Nischenwissenschaft, auch wenn sie ein solches Dasein bisher fristen musste. Aus diesem Schatten darf sie nun mit dem Nobelpreis heraustreten.
Natürliche Rhythmen bekommen eine Chance
Die Tatsache, dass unser Leben von Rhythmen bestimmt wird, ist in unserer Arbeits-Gesellschaft, in der die Uhren den Takt vorgeben, kaum präsent. Überwiegend glauben die Menschen, ihr Körper hat sich scheinbar daran „gewöhnt„. Ist es doch „normal“, dass der Wecker täglich den Schlaf nie seine Arbeit zu Ende führen lässt und man auch Abends noch vom grellen Blaulicht der Bildschirme über den Tagesstand getäuscht wird. Der Schlaf wird eher als Hindernis zum Erfolg, als als Chance für „Noch mehr Erfolg“ gesehen. Die wenigsten wissen, wie dies funktionieren kann.
Die Optimierung von Arbeitszeiten, Schulbeginnzeiten (z.B. auch Berufsschule), und Therapiezeiten sind nur 3 von unzähligen Ansätzen, die zusammen mit der Chronobiologie ein gewaltiges Potenzial bieten, Menschen (schneller) gesund werden und gesünder leben zu lassen, Wissen effizienter aufnehmen (lernen) und abgeben (prüfen) zu können und Arbeit fehlzeitenfreier und wesentlich effektiver werden zu lassen.
Nobelpreis Chronobiologie und die Chancen für Personalmanagement – HR 5.0?
HR 4.0 stellt die Digitalisierung in den Mittelpunkt. In meinem Artikel „Digitalisierung – Wenn das HR-Management zur IT-Abteilung verkommt“ hatte ich schon bemängelt, dass zunehmend die prozessoptimierende digitale Technik und nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt der Entwicklung steht. Die Chronobiologie könnte jedoch die Fortschreibung dieser Entwicklung sein, indem sie sich innerhalb des Optimierungsprozesses, unter Zuhilfenahme der digitalen Möglichkeiten, der natürlichen Rhythmen des Menschen bedient. So entstehen ganz neue Möglichkeiten, Fehlzeiten und Fehler zu minimieren und Leistung und Output zu erhöhen, ohne dass die Gesundheit leidet. Dies könnten die ersten Schritte in Richtung HR 5.0 darstellen, wenn man die Konvention weiter bedienen will.
BIONIC HRM
Unternehmen wissen alles von ihren Kunden. Sie geben Milliarden für Tools aus, um Daten zu sammeln, auszuwerten und zu operationalisieren. Was aber das Wissen um die Mitarbeiter angeht, sieht es eher mager aus. Dies geht kaum über das hinaus, was sich an Leistung innerhalb eines Prozesses in dem diese eingebunden sind, messen lässt. Wie die Mitarbeiter aber z.B. chronobiologisch ticken, interessiert nicht. Das mag natürlich auch an den Gesetzen liegen, die schlicht verbieten, medizinische Daten der Mitarbeiter abzufragen.
Natürlicherweise werden hier zudem auch die Gewerkschaften ein Hemmschuh sein, da sie Angst haben, das diese Daten negativ verwendet werden. Natürlich bietet alles was man positiv einsetzen kann, auch die Möglichkeit, es negativ auszunutzen. Dies ist aber kein Grund, die positiven Aspekte in dessen Schatten zustellen. Ein „Es geht nicht weil … !“ sollte daher durch ein „Wie schaffen wir es, dass … !“ ersetzt werden. Ansonsten geht extrem viel Potenzial verloren.
Die Frage ist also nicht, nutzt man medizinische Daten oder nicht, sondern wie kann man sie nutzen, sodass sie quasi mit einem win-win-Effekt für alle Beteiligten genutzt werden können. Freiwilligkeit kann hierbei ein Stichwort sein, was natürlich Vertrauen voraussetzt. Arbeitgeber, die schon per se ein schlechtes Vertrauensverhältnis zu ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen haben, werden sich eher schwer tun, hier entsprechende Mitwirkung zu erreichen. Best practice Beispiele haben jedoch bereits gezeigt, dass es funktioniert, wenn man es richtig und vertrauensvoll angeht. Der Nobelpreis Chronobiologie kann dabei sicher hilfreich sein.
Digitalisierung als Chance für die Chronobiologie
Die Digitalisierung bietet, neben der bereits oben erwähnten Prozessoptimierung, die einzigartige Chance, Daten über die Mitarbeiter auszuwerten, und für alle am Prozess Beteiligten positiv einzusetzen. Es bietet zudem die Chance, dies in reduzierter Form auch anonym zu realisieren, ohne dass die Daten tatsächlich personengebunden dargestellt werden müssen. Wer in seiner Belegschaft jedoch, wie schon erwähnt, Vertrauen als strategischen Baustein erfolgreich positioniert hat, wird hier weniger Probleme haben, dies auch personenbezogen realisieren zu können.
Diese Form von „bionischer Personalführung“ (BIONIC HRM) könnte als HRM 5.0 die Potenziale natürlicher Rhythmen und der Digitalisierung potenzieren, wenn man es als Option zu einer echten Win-Win-Situation (Liquid Work®) versteht.
Das Zusammenführen von künstlicher Taktung und natürlichen Rhythmen bietet zudem die große Chance, neben den gesundheitlichen Auswirkungen auch die Gesellschaft kostentechnisch zu entlasten. Schlafmangel kostet allein die deutsche Volkswirtschaft fast 50 Mrd. Euro jährlich. Dies sollte eine Investition von Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern, und vor allem die Aufmerksamkeit von Entscheidern jeglicher Branche Wert sein.
Jedoch stellt die Digitalisierung auch eine Gefahr für die Chronobiologie dar. Genaugenommen nicht für die Chronobiologie selbst, sondern mehr für das Thema „Schlaf“, denn viele Schlafprobleme liegen in der Digitalisierung und ihren Folgen begründet. Hierzu habe ich einen separaten Artikel geschrieben.
SEMCO und Chronobiologie
Ich beschäftige mich seit 2002 mit der Chronobiologie im Personalmanagement. Schon lange gibt es Firmen, die sehr früh, weit vor dem Nobelpreis Chronobiologie diese Thematik mit sehr großem Erfolg aufgegriffen und innerhalb innovativer Arbeitsformen umgesetzt haben. Das klassische Beispiel hierzu ist SEMCO. Die brasilianische Firma mit über 3000 Mitarbeitern hat in den letzten 30 Jahren unter Ricardo Semler eine beispielhafte Entwicklung hingelegt, und kann mit einer Fluktuationsrate von unter 1% aufweisen. Das inzwischen berühmt gewordene „SEMCO System“ ist in zahlreichen Publikationen dargestellt.
Zitat aus seinem Buch „The Seven day weekend„:
„… Gleiches gilt für den Biorythmus. Wenn ich verlange, dass ein Mitarbeiter um 8.00Uhr morgens erscheinen soll, auch wenn er jemand ist, der eigentlich bis 9.00Uhr schläft, werde ich nur ein paar Stunden seiner besten Produktivität erhalten. Und wenn ich um 18.00Uhr mein Geschäft schließe, schicke ich diese Person nach Hause obwohl sie gerade erst in Schwung gekommen ist! Seine besten Zeiten würden vielleicht zwischen 18.00 und 20.00Uhr liegen.“
Er hat früh verstanden, wo die Potenziale liegen und wundert sich bis heute, warum die Menschen dies noch nicht begriffen haben.
Sonnenlicht vs. Kunstlicht
Aber nicht nur der Schlaf und optimierte Arbeitszeiten sind Themenfelder der Chronobiologie, sondern auch das Licht. Damit ist nicht nur das Kunstlicht, sondern vor allem der Einfluss des Sonnenlichtes auf die innere Uhr gemeint. Das Kunstlicht kann hier die Sonne nach wie vor nicht ersetzen. Dies hat vor allem dort extreme Auswirkungen auf Leistung und Gesundheit, wo kaum Naturlichteintrag vorhanden ist. Ein Platz am Fenster ist da sicher noch die beste Variante. Aber bereits 2-3 Meter im Rauminneren ist in der Regel wieder Kunstlicht notwendig. Auch hier gibt es bereits seit Jahren Lösungen, wie z.B. sogenannte Solatubes. Dies sind Spiegeltunnelsysteme, die Sonnenlicht ins Rauminnere transportieren. Ganz nebenbei spart man auf diesem Wege Energie und sichert sich einen Beitrag in Sachen „Nachhaltigkeit“. Ein Optimierungs-Beitrag in Sachen „Chronobiologie“, den man bei jeder baulichen Investition berücksichtigen sollte.
Ganz neue Wege gehen aber auch andere Konzepte, wie die der Fa. ThePhotonspace aus London. Ganzglas-Lösungen für Häuser aus Spezialglas mit hohem Wärme- und Lärmschutz lassen den Kontakt zum Naturlicht auf diese Weise dauerhaft bestehen. Der Einblick wird, wenn gewünscht, entweder durch Nanotechnologie oder Verspiegelung verhindert.
Update 15.12.2023: Das Projekt „Photonspace“ wurde laut Auskunft der Fa. Cantifix (ehem. Betreiber) inzwischen eingestellt. Die Pandemie hatte einen maßgeblichen Anteil.
Umsetzung der Erkenntnisse um die Chronobiologie
Der Nobelpreis Chronobiologie ist eine Sache, die sicher zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit für diese Wissenschaft, und sie vor allem aus der Esotherik – Ecke führen wird. Das größte Problem für interessierte Unternehmer und Unternehmerinnen ist jedoch die Frage: Wie setze ich welche Maßnahmen nutzenstiftend um?
Changemanagement in diesem Bereich bedarf der Begleitung. Die wenigsten Beratungsunternehmen können hier jedoch eine Expertise aufweisen. Dabei ist in manchen Bereichen der Aufwand wesentlich geringer als man denkt. Man muß nur wissen, wie man ansetzen muss.
Chronobiologie-Handbuch für Unternehmer
Wie sich Chronobiologie im Personalmanagement positiv auf Fehlzeiten, Effizienz aber auch Fachkräftegwinnung auswirken kann, wie man Optimierungen praktisch angehen kann und was man als UnternehmerIn/ EntscheiderIn strategisch für Vorteile daraus ziehen kann, habe ich bereits 2012 in meine Buch „Liquid Work – Arbeiten 3.0“ geschrieben, welches 2016 in der 2. Auflage unter „Chronobiologie im Personalmanagement“ erschienen ist. Eine Lektüre, die unter dem Aspekt Nobelpreis Chronobiologie sicher noch an Bedeutung gewinnt.
Offizieller Verlautbarung des Nobelpreis – Komittees zum Nobelpreis Chronobiologie