Müdigkeit – Eine Frage von Erregung und Hemmung

Müdigkeit – Eine Frage von Erregung und Hemmung

Wenn morgens die Müdigkeit an den Sohlen klebt, ist man entweder übermüdet oder … eine Eule. Das Eulen nicht mit den Lerchen fit sind, ist zwar ein prinzipielle Binsenweißheit, aber die Gründe dafür sind den wenigsten bekannt. Zum einen spielt die Genetik eine wichtig Rolle. Denn ob wir früh oder spät ticken ist keine Frage des Wollens, sondern basiert auf einer genetischen Prädisposition.

Maßgeblich ist hierbei der sogenannte SCN (Nucleus Suprachiasmaticus), dessen Struktur ist so individuell wie unsere Fußgröße. Er ist zentraler Impulsgeber, weswegen er auch „Masterclock“ genannt wird, auch wenn er mit einer Uhr soviel gemeinsam hat, wie ein Fußball mit einem Fuß.

Morgendliche Müdigkeit kann am späten Chronotyp liegen

Dieser SCN sendet rhythmische Impulse an zig weitere Impulsgeber („innere Uhren“) im Körper die dann entsprechende Vorgänge z.B. hormoneller Natur auslösen, die wichtig sind, um Prozesse zu starten, zu stoppen, zu forcieren oder zu reduzieren.

Soweit so klar bisher.

Müdigkeit ist nicht gleich Müdigkeit

Forscher haben herausgefunden, dass es zwei Arten von Müdigkeit gibt.

  • Das eine ist die Müdigkeit durch Schlafentzug,
  • dass andere ist die Müdigkeit nach dem Aufstehen bzw. vor dem zu Bett gehen.

Zentrales Element ist hierbei das Gleichgewicht von Hemmung und Erregung bestimmter Nervenzellen. Es gibt erregende und hemmende Nervenzellen, die jeweils Informationen weiterleiten oder eben nicht bzw. nur partiell. Im ausgeruhten, geistig wachem Zustand besteht ein solches Gleichgewicht. Informationen die einer aktuellen Tätigkeit dienlich sind, werden durch erregende Nervenzellen weitergeleitet, solche die der Tätigkeit jedoch nicht dienen, werden gehemmt. Wir kennen das, wenn wir hochkonzentriert sind und aussen herum kaum etwas wahrnehmen.

Das Interessante dabei: Dies ist vor allem für die hemmenden Zellen energetisch anstrengend. Irgendwann schwächeln sie und können ihre Arbeit nicht mehr vollständig ausführen. Das ist der Moment, zu dem wir unkonzentriert und „müde“ werden. Störende Signale kommen wieder durch, ähnlich einer Tür, die nicht mehr richtig schließt.

Damit die hemmenden Zellen wieder ihre Arbeit aufnehmen können, müssen sie sich regenerieren und benötigen Energiezufuhr (Nährstoffe etc.). Ersteres geht tagsüber durch PowerNaps, wobei nicht bei jedem PowerNaps tatsächlich etwas Positives bringen, oder, wie Wissenschaftler auch festgestellt haben, Tagträumen. Nachts ist es dann der Schlaf der die hemmenden Zellen wieder regeneriert.

Hier geht es zum BodyClock Chronotyp Test

Schlafen wir nun nicht, werden die hemmenden Zellen nicht regeneriert. Dies hat zur Folge, dass der Strom an Informationen ohne hemmendes Element ungehindert ins Gehirn kommen kann. Übermüdung bedeutet also nicht per se ein leeres Gehirn, sondern eher auf ein überfülltes.

Nun wird auch verständlich, dass wir unter Umständen nicht einschlafen können, weil unser Gehirn „voll“ ist. Die Gedanke drehen sich und wir können den Zustrom nicht mehr kontrollieren.

Spättyp/Frühtyp

Der Schlaf-/Wachrhythmus bei Frühtypen unterscheidet sich zeitlich gravierend von dem der Spättypen, das wissen wir. Aber auch in Bezug auf die Balance „Hemmung und Erregung“ zeigen sich eklatante Unterschiede.

Es ist typisch für Spättypen, dass sie eine längere Anlaufphase brauchen, also länger „noch nicht richtig wach“ sind. Wer schon einmal den RNA-Chronotyptest gemacht hat, hat als Spättyp diese Information in seinem Ergebnisbericht gefunden.

Das liegt daran, dass die hemmenden Zellen um diese Zeit bei Spättypen noch nicht „auf der Höhe“ sind. Je früher man vor seiner biologischen Aufwachzeit z.B. durch Wecker geweckt wird, desto ausgeprägter diese Situation. Und je schlechter der Schlaf, desto weniger „ausgeschlafen“ reagieren die hemmenden Nervenzellen zudem (wobei dies für alle Chronotypen gilt).

Frühtypen dagegen sind morgens schneller fit, was bedeutet, das die hemmenden Nervenzellen bereits sehr schnell ihre volle Kraft entfalten.

Genau andersherum sieht es dann später am Tag bzw. Abends aus. Dann laufen die hemmenden Zellen bei Spättypen erst richtig zur Hochform auf, während die der Frühtypen bereits erschöpft sind.

HemmZellen-Training?

Befasst man sich mit dem Thema, kommt natürlich unwillkürlich der Gedanke auf, ob man die hemmenden Zellen ähnlich wie Muskeln trainieren kann, damit sie länger durchhalten? Denn tatsächlich kann man Konzentration trainieren. Eine Form kann z.B die Meditation darstellen, denn Meditation ist im Kern nichts anderes, als sich auf etwas konzentrieren, aber eben ohne eine konkrete „zieldefinierte Aufgabe“. Wenn es nur lautet „konzentriere dich auf deinen Atem“ fällt dies oft schwerer, als wenn wir uns z.B. auf eine kompliziertere Rechenaufgabe oder ein Kreuzworträtsel konzentrieren sollen.

Aber man kann eben Meditieren lernen, was sich auch positiv auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken kann. Der Rückschluss liegt also nahe, dass man dadurch auch die hemmenden Zellen trainieren kann.

Mit Meditation gegen Müdigkeit

Folgen

Diese Erkenntnisse bekräftigen die bisherige wissenschaftliche Sichtweise, dass späte Chronotypen extrem unter einer der eigenen inneren Uhr zuwiderlaufenden gesellschaftlichen zeitlichen Struktur leiden. Besonders starke Auswirkungen hat dies vor allem bei Jugendlichen in der Schule. Da Prüfungen in der Regel früh am Morgen stattfinden, sinkt die Chance für Spättypen gravierend sich konzentrieren, und somit eine entsprechende Leistung abrufen zu können.

Das Schulsystem diskriminiert also de facto Spättypen. Und da gerade Jugendliche genetische Spättypen sind, bevorzugt das System eigentlich einige wenige und macht sie so künstlich zu „Leadern“.

Das Potenzial was durch dieses Ungleichgewicht verschossen wird, ist gewaltig.

Dies ist auch der Grund für meine Petition gegen die Diskriminierung vom Spättypen. (Zur Petition geht es hier.)

FAZIT

Frühtypen passen sowohl genetisch in Bezug auf die Funktion der hemmenden Nervenzellen eher zur gesellschaftlichen Zeit-Struktur, als auch in Punkto biologischer Schlafzeit, da sie weniger anfällig für Schlafdefizit sind.

Spättypen haben jedoch ohnehin schon mit dem Risiko höheren Schlafdefizits zu kämpfen. Hinzu kommt dann die Situation, dass deren hemmende Nervenzellen quasi tagsüber sich zu „schonen“ scheinen, um Abends dann zu voller Form auflaufen zu können.

Was kann also ein Spättyp tun?

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten um die Auswirkungen zu lindern oder Veränderungen anzustoßen. Die Sinnhaftigkeit hängt aber davon ab, wie die jeweilige Lebenssituation aussieht. Es zeigt sich jedoch, dass Ausschlafen bzw. ausreichend Schlaf bei Spättypen einen noch wesentlich wichtigeren Aspekt darstellt, als bei Frühtypen, um zumindest teilweise früh morgens leistungsfähig zu sein.

Der Ergebnisbericht des RNA-Chronotyptests beinhaltet bereits zahlreiche Tipps und Hinweise für den jeweiligen Chronotyp. Insofern empfehle ich sich einmal einen solchen Test zu holen, es lohnt sich! Ein paar Infos zum Ergebnisbericht habe ich hier zusammengestellt.

Arbeitgeber können von diesem Wissen massiv profitieren, wenn es um den Arbeitseinsatz, Schulungen oder Pausenzeiten geht, denn jeder tickt eben anders. Wie wir dies in Projekten bereits umgesetzt haben, findest du hier.

Schlaf- und Wachrhythmus-Beratung für Einzelpersonen
Schlaf- und Wachrhythmus-Beratung für Partner
Schlaf- und Wachrhythmus-Beratung für Familien

Quellen:

https://www.nzz.ch/wissenschaft/gehirnzellen-oder-ueberreizung-gruende-fuer-muedigkeit-sind-vielfaeltig-ld.1746626?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.nature.com/articles/ncomms12455

https://www.nature.com/articles/s41467-021-24885-0

https://www.nature.com/articles/ncomms12455