KW 34 - Freizeit und Zeitmacht

In unserem Kapitel „Leisure Sickness“ hast du ja schon einiges darüber erfahren, warum Freizeit krank machen kann und dass Freizeit nicht gleich freie Freizeit sein muss.
In diesem Kapitel wollen wir nun etwas tiefer einsteigen in das, was wir so einfach als „Freizeit“ bezeichnen. Wie „frei“ bezogen auf unsere Zeiteinteilung sind wir tatsächlich in unserer „Freizeit“? Was tun wir unter Zwang, ohne dass wir es bemerken? Alles eine Frage der Zeitmacht.

 

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24h

Jeder Mensch hat die gleiche Anzahl an Stunden (24), Minuten (1.440) und Sekunden (86.400) pro Tag zur Verfügung. In dieser Zeit müssen wir die verschiedensten Dinge des Lebens unterbringen. Ein Grund, warum die Zeit bzw. die Zeitmessung erfunden wurde ist, dass dadurch eine allgemeingültige und -verständliche Einteilung und zeitliche Positionierung der Durchführung dieser „Dinge des Lebens“ möglich ist. Nur so funktionieren die vielen getakteten Prozesse unserer Gesellschaft. Diese Zeiteinteilung ist dabei grundsätzlich auf zwei Wegen möglich:

Hierbei gibt es jeweils Abstufungen. In welchem dieser beiden Kernbereiche wir uns aufhalten dürfen, ist eine Frage der Zeitmacht. Dabei geht es nicht direkt um die grauen Herren aus „Momo“, sondern darum, wer gefragt werden muss, wenn es um Dinge der Zeitraum-Einteilung geht. Der Arbeitgeber hat die Zeitmacht über den Arbeitnehmer, während der Gesetzgeber die Zeitmacht über den Arbeitgeber hat. Manchmal ist Zeitmacht auch eine Frage der Nachfrage. Wer viel gefragt ist, bestimmt die Zeiten, zu denen er z.B. mit anderen sprechen will. Dies kann ein Bürgermeister sein, ein Prominenter oder jemand, der es sich schlichtweg finanziell leisten kann, NEIN zu sagen.

Sobald auch nur ein Zeitraum des Tages von anderen (extern) festgelegt wird, ist eine aktive, völlig freie Zeiteinteilung nicht mehr gegeben, da man diesen extern festgelegten Zeitraum eben nicht mehr selbst für die Einteilung berücksichtigen kann.

Beispiel Arbeitszeit: Sobald du von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr (zuzüglich der Wegzeiten) arbeiten musst, steht dir dieser Zeitraum nicht mehr zur völlig freien, eigenen Zeiteinteilung zur Verfügung. Alles am Tag orientiert sich an dieser Vorgabe. Das beinhaltet Schlaf, Frühstück, Sport, Zeit mit den Kindern etc.. Je nach sozialer Situation bleibt dir also lediglich die Option, deine Ereignisse, die nicht die Arbeitszeit betreffen, in der Zeit zwischen 17.00 Uhr und 8.00 Uhr durchzuführen.

Aber auch hier gibt es weitere Vorgaben, die eine freie Zeiteinteilung zumindest in diesem Zeitraum unmöglich machen. Öffnungszeiten von Geschäften, Restaurants, Fitnessclubs etc. sind überwiegend ebenfalls zeitlich beschränkt. Somit schrumpfen die Zeiträume, in denen man sich zeitlich noch frei bewegen kann, erneut extrem zusammen. Doch damit noch nicht genug. Selbst innerhalb der Öffnungszeiten ist eine freie Wahl oft nicht möglich, wenn z.B. Dienstleistungen wie Friseur, Arztbesuch, etc. nur nach Termin funktionieren.

Und wie sieht es im Urlaub aus? Nun ja, hier fällt zumindest der große Block der Erwerbstätigkeit weg, aber Öffnungszeiten, Essenszeiten in Hotels, Abfahrtszeiten von Bussen (Sightseeing) etc. sind nach wie vor extern vorgegeben. Und all dies gilt schon, wenn man nur für sich selbst planen muss. Kommen Partner oder Familie hinzu, gleicht Zeitplanung eher Tetris für Fortgeschrittene, um Vorgaben und Erwartungshaltungen der anderen erfüllen zu können. Übrig bleibt oft etwas wie Resteverwertung von Zeitfetzen.

Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung bleibt aktive, völlig freie Zeiteinteilung über 24h ein unerreichbarer Luxus. Er bleibt einem kleinen Kreis überlassen, der in hohem Maß Zeitmacht besitzt. Am ehesten sind es die finanziell Unabhängigen. Sie können es sich leisten, nein zu externen Wünschen, Vorgaben und Erwartungen zu sagen. Die Personengruppe, die diesen Menschen noch Zeitvorgaben machen kann, ist extrem begrenzt. Wer Geld hat, kann sich zwar keine Zeit kaufen, aber Zeitmacht.

Freie Freizeit und Freizeit

Was tun die Deutschen eigentlich in Ihrer Freizeit, also der Zeit in der sie nicht der Erwerbstätigkeit nachgehen? Sehen wir uns mal eine aktuelle Statistik an, ist nach wie vor das Fernsehen an der Spitze, wobei die Tendenz leicht rückläufig ist.

Beliebteste Beschäftigung der Deutschen in der Freizeit

Waren es 2017 noch 98,4%, gehört es 2021 nur noch für 93,5% zur den belieb- testen Freizeitbeschäftigungen. Die Technik hat im letzten Jahrzehnt eine freiere Zeiteinteilung ermöglicht, da viele Sendungen nun unabhängig von den Ausstrahlungszeiten 24 h am Tag gestreamt werden können. Gewaltig zugenommen hat der Bereich social networking, den 2016 noch 53,3% zu den wichtigsten Freizeitbeschäftigungen gezählt haben, 2019 jedoch schon 68,1%, eine Zunahme von 15%. Dabei hat diese Statistik noch nichts mit dem Zeitraum zu tun, den die Menschen hierfür aufwenden.

Wir haben aus der Statistik die 7 Top-Aktivitäten herausgenommen. Auch muss berücksichtigt werden, dass Aktivitäten parallel ausgeführt werden können. Fernsehen ist in diesem Zusammenhang ein Zwitter. Je interessanter die Inhalte für den Nutzer, desto weniger finden parallel andere Aktivitäten statt. Dennoch läuft in vielen Haushalten der Fernseher eher als „Grundrauschen“, während andere Aktivitäten durchgeführt werden.

Übrigens: 2016 saßen die Menschen noch 223 min pro Tag vor dem Fernseher, 2019 im Schnitt 211 Minuten, wobei klar zu erkennen ist – je älter, umso mehr Zeit. 2019 verbrachten dagegen die Deutschen im Schnitt knapp über 1 h/Tag in den sozialen Netzwerken.
Interessant bei dieser Statistik ist, dass Freizeitaktivitäten bevorzugt werden, die eine eigene Zeiteinteilung ermöglichen. Die Aktivitäten, die einer eingeschränkten eigenen Zeiteinteilungsmöglichkeit unterliegen, finden sich eher am Ende der Skala (Sauna, Fitnessclub etc.).

Freizeit-Stress oder Leisure sickness

Ein weiteres Phänomen verhindert eine tatsächlich freie Freizeit, der Freizeit-Stress oder auch Leisure sickness. Und diesen verursachen wir „witziger weise“ selbst. Können wir endlich innerhalb eines Zeitfensters wirklich frei einteilen, packen wir es voll, als gäbe es kein Morgen. Besonders deutlich wird dies bei „Aktivurlauben“, bei denen ein Städtetrip den nächsten Museumsbesuch ablöst, um dann abends jeden Tag in eine andere Veranstaltung zu münden.

Aber auch zu Hause kann Freizeitstress entstehen. Gerade Verwandte und Bekannte und deren tatsächlichen oder auch nur eingebildeten Erwartungshaltungen, denen wir glauben entsprechen zu müssen, tragen dazu bei. Dies können Besuche sein, aber auch „nur“ Telefonate. Da wird das Telefonat mal schnell zum „Dauerbrenner“, nur weil die Person am anderen Ende etwas zum hundertsten Mal wiederholt, alles bis ins kleinste Detail erzählen muss oder schlichtweg kein Ende findet, weil ihm/ihr kurz vor dem Auflegen noch ein weiterer wichtiger Punkt einfällt. Kennst du das? Vor allem Menschen die nicht „nein“ sagen können, leiden unter solcher Art von „Telefonterror“. Freizeit-Stress hat viele Aspekte, aber überwiegend hätten wir es selbst in der Hand, hier Abhilfe zu schaffen.

Tipps: Wie viel deiner freien Freizeit kannst du frei und ohne jegliche externe Beeinflussung einteilen? Je mehr deine Zeiteinteilung durch externe Personen oder Einrichtungen beeinflusst ist, desto stärker ist in der Regel der Zeitdruck, der dabei entsteht. Das ist mit ein Grund, warum Online-Einkäufe so beliebt sind. Es gibt keine einschränkenden Öffnungszeiten.

Frage dich, wie du deine Freizeit verbringst. Planst du sie? Wie schon andernorts erwähnt, ist das Planen von Freizeit für viele eine Möglichkeit, dem Freizeit-Stress zu entgehen. Dabei ist es nicht nur wichtig, ggfs. einmal in Bezug auf die Menge der Aktivitäten auszumisten (was ist DIR WIRKLICH wichtig), sondern dich auch zu fragen, wie viel Zeit du jeder Aktivität gibst.

Aber auch in Sachen Verwandte/Bekannte/Telefon etc. kann ggfs. eine Planung sinnvoll sein. Wer ständig angerufen wird, lässt sich die Zeitplanung des anderen überstülpen. Wenn du auf die Telefonate nicht verzichten willst, plane sie selbst und bestehe ruhig darauf, auch deine Wünsche unterzubringen und begrenze von vornherein die Zeit.

Zuletzt der wichtigste TIPP:

 

„Lerne nein zu sagen und verbessere dadurch die Qualität deines ja“.

Claudia Garrido Luque

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