Alte Darstellung einer Finsen Lampe in einem Behandlungsraum mit Ärzt*innen und Helfer*innen

Wenn wir heute über Chronobiologie sprechen, denken die meisten an moderne Forschung: circadiane Rhythmen, Melatonin, Jetlag, Schichtarbeit oder Lichttherapie bei Depressionen. Was dabei oft übersehen wird: Die eigentliche Wurzel dieses Denkens liegt mehr als ein Jahrhundert zurück – bei einem Arzt, der das Licht nicht nur als Sinnesreiz, sondern als medizinischen Wirkstoff verstand. Sein Name: Niels Ryberg Finsen

Ein Leben im Schatten einer Krankheit

Finsen wurde 1860 auf den Färöern geboren und starb bereits 1904 in Kopenhagen – mit nur 44 Jahren. Er litt an einer schweren chronischen Stoffwechselkrankheit, die ihn zunehmend schwächte. Aus heutiger Sicht war es vermutlich Niemann-Pick-Krankheit. Seine Krankheit zwang ihn, auf vieles zu verzichten, was für einen jungen Arzt selbstverständlich gewesen wäre. Doch gerade diese Einschränkung führte ihn zu Beobachtungen, die seiner Zeit weit voraus waren.

Finsen stellte fest, dass Licht ihm persönlich guttat. Diese simple Erfahrung war der Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Spur, die er mit Konsequenz verfolgte: Wenn Licht heilend wirken kann – warum sollte es nicht gezielt, dosiert und klinisch anwendbar sein?

Die Geburt der Phototherapie

Seine Hypothese war provokant: Bestimmte Wellenlängen des Lichts, insbesondere die kurzwelligen „chemischen Strahlen“, hätten eine therapeutische Wirkung. Er entwickelte Geräte, die Kohlebogenlicht bündelten und durch Filter lenkten – die berühmte Finsen-Lampe. Damit behandelte er Patienten, vor allem mit Lupus vulgaris, einer Hauttuberkulose, für die es damals kaum Hoffnung gab.

Die Ergebnisse waren verblüffend. Ab 1896 behandelte er hunderte Patienten erfolgreich. So überzeugend, dass er 1903 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt – „in Anerkennung seines Beitrags zur Behandlung von Krankheiten, insbesondere Lupus vulgaris, mit konzentrierter Lichtstrahlung“.

Damit war Finsen der erste Arzt, der das Licht **standardisierte**: Wellenlänge, Intensität, Dauer, Applikationsform. Licht war nicht mehr nur „Natur“, sondern wurde zur **medizinischen Intervention

Finsens Bedeutung – mehr als nur ein Nobelpreis

Auf den ersten Blick war Finsens Ansatz eng: die Behandlung einer spezifischen Krankheit. Doch im Kern steckte eine weit größere Idee: Licht ist nicht neutral. Es greift aktiv in biologische Prozesse ein, wirkt auf Zellen, auf Heilungsprozesse, auf den gesamten Organismus.

Damit öffnete er ein Tor, das die Medizin bis heute nicht konsequent durchschritten hat. Denn wenn Licht so wirkt – warum sollte es nicht auf Psyche, Stoffwechsel, Immunabwehr und biologische Rhythmen wirken? Genau das ist die Brücke zur Chronobiologie.

Vom Heilmittel zur Rhythmusforschung

Nach Finsen geriet die Phototherapie zunächst in eine ambivalente Phase. Einerseits griffen Ärzte seine Methoden auf, andererseits verfiel das „Sonnenlicht“ in modische Wellness-Kuren. Man badete im Licht, ohne es wirklich systematisch zu verstehen. Parallel entstanden aber neue Erkenntnisse: Vitamin-D-Synthese, hormonelle Effekte des Lichts, erste Beschreibungen circadianer Muster.

Die wahre Wende kam ab den 1950er Jahren. Forscher wie Jürgen Aschoff und Franz Halberg beschrieben circadiane Rhythmen. Sie bewiesen: Der Mensch lebt nicht „einfach so“ in der Zeit, sondern wird von einer inneren Uhr gesteuert. Und diese Uhr wird – Überraschung – durch Licht synchronisiert.

Was Finsen klinisch beobachtet hatte, bekam damit eine völlig neue Dimension: Licht ist nicht nur lokal wirksam, sondern systemisch, als wichtigster Zeitgeber des Organismus.

Die Chronomedizin der Gegenwart

Heute ist es selbstverständlich, dass Lichttherapie bei Winterdepression, Schlafstörungen oder Schichtarbeit eingesetzt wird. Wir wissen, dass blaues Licht den Melatoninspiegel beeinflusst, dass morgendliches Sonnenlicht entscheidend für den Schlaf in der Nacht ist, und dass falsches Lichtumfeld langfristig Krankheiten fördert.

In all diesen Erkenntnissen steckt die DNA von Finsens Ansatz: das Verständnis, dass Licht nicht nur ein Umweltfaktor ist, sondern ein Teil unserer Physiologie. Man könnte sagen: Ohne Finsen wäre die moderne Chronomedizin um einen entscheidenden historischen Anker ärmer.

Finsen als Missing Link

Warum aber ist er heute so wenig präsent? Vielleicht, weil er in einer Übergangszeit wirkte. Die Mikrobiologie begann gerade, die Medizin zu revolutionieren. Medikamente und Impfungen rückten in den Vordergrund. Lichttherapie wirkte im Vergleich archaisch.

Doch schaut man genauer hin, war Finsen alles andere als rückständig. Er war der Erste, der eine nicht-stoffliche Therapie mit der Präzision eines Medikaments behandelte. In gewisser Weise hat er Licht zu einem „Medikament ohne Molekül“ gemacht.

Damit wird er zum Missing Link: zwischen der alten Naturmedizin, die Sonne und Licht instinktiv nutzte, und der modernen Chronobiologie, die systematisch untersucht, wie Licht unsere innere Uhr, unseren Stoffwechsel und unser Verhalten steuert.

Fazit: Ein vergessener Chronobiologe

Niels Ryberg Finsen war kein Theoretiker der inneren Uhr. Aber er war der Erste, der das Licht aus der Naturbeobachtung herauslöste und in die medizinische Praxis brachte. Damit bereitete er den Boden für eine Chronobiologie, die Licht als zentrale Ressource der Gesundheit versteht.

Vielleicht wäre es an der Zeit, ihn nicht nur als Nobelpreisträger für Hauttuberkulose, sondern als Pionier der Chronomedizin zu würdigen. Denn im Kern war seine Botschaft zeitlos: Gesundheit bedeutet, mit den natürlichen Kräften zu arbeiten – nicht gegen sie.

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