Frühstück Cornflakes und Milch

Frühstück: Ein Dogma fällt?

Das Frühstück. Die meisten von uns sind mit einem Satz groß geworden, der wie eingemeißelt über der Küche hängt:

„Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.“

Weil manifestiert in Klassenzimmern, durch Elterngespräche und über Gesundheitsratgeber und nicht zuletzt auch vermeintlich über Studien, pressen wir uns, und vor allem unseren Kindern, frühmorgens mehr oder eher weniger „Gesundes“ in den Körper, nur um fit für den Tag zu sein, denn das frühe Aufstehen kostet ja schon genug Energie.

Spoiler: Was, wenn wir einem gesellschaftlichen Dogma folgen, das weder biologisch fundiert noch wissenschaftlich sauber belegt ist, und das Millionen Kinder und Jugendliche täglich gegen ihren inneren Rhythmus zwingt, mit weitreichenden Folgen?

Ich merke, wie jetzt den ersten schon die Hutschnur leicht vertikal entschwindet, aber … „lasst es uns mal aufdröseln“, wie es die KI häufig formuliert.

Die Studienlage: Frühstück ist gut – oder … ?

Das zu Beginn aufgeführte Dogma entspringt übrigens keineswegs der Wissenschaft, sondern der Industrie der frühen Nachkriegsjahre. „Cornflakes“ sowie „Ham and egg“ wurden durch den PR-Pionier Edward Bernays entsprechend am Markt positioniert[1]Empfehlung: ARTE Dokumentation „Die Wissenschaft der Meinungsmache“ zu Edward Bernays, flankiert von manipulierten Studien und Empfehlungen von Ärzten. Science followed Marketing und nicht umgedreht.

Dennoch kommen auch heute noch zahlreiche Studien scheinbar zu einem klaren Ergebnis:

  • Kinder, die frühstücken, schneiden in kognitiven Tests besser ab.

  • Schulnoten sind bei Frühstückern im Schnitt besser.

  • Frühstücksverzicht korreliert mit Übergewicht und ungesundem Essverhalten.

Auf den ersten Blick also: Frühstück = gesund. Verzicht = riskant, wobei heute wissenschaftlich Konsens ist, dass Cornflakes, ham and egg am Morgen sicher nicht mehr auf der zwingenden Empfehlungsliste stehen.

Sieht man sich die Studienlage aber genauer hin, kommen Fragezeichen auf, denn die Schlussfolgerung „Frühstück = Must-have“ steht auf wackeligem Fundament.

In meinen Augen, man möge mich gerne korrigieren, beruht sie auf einem Denkfehler, der sich in einem falschen Studiendesign widerspiegelt. Ein Denkfehler, den viele dieser Studien gemeinsam haben – einen Fehler, den man nur erkennt, wenn man sich fragt, was eigentlich verglichen wird.

Was die Studien nicht vergleichen

Der zentrale Punkt ist so simpel wie brisant:

In den meisten Studien wird nicht verglichen:

  • „Frühstück um 7:00 Uhr“ versus
  • „erste strukturierte Mahlzeit um 10:00 Uhr“ (also später, aber trotzdem 3 Mahlzeiten)

 

Sondern es wird verglichen:

  • Frühstück (klassisch morgens früh)
  • Kein Frühstück (mit unklarem späterem Essverhalten wie z.B. nur 2 Mahlzeiten)


Mit anderen Worten:
Es wird die Reduktion von drei auf zwei Mahlzeiten am Tag untersucht, nicht aber der Effekt einer zeitlich verschobenen ersten Mahlzeit bei gleichem Gesamtnahrungsvolumen.

Oder noch einfacher: Ein Spätstück statt Frühstück findet sich in Studien nicht.

Das ist ein fundamentaler Unterschied. Dabei ist klar, dass die Schüler diesen Mangel dann durch Süßigkeiten kompensieren, die aber nicht als „Mahlzeit“ verortet werden, sondern als Snacks und somit als negative Folge des Wegfalls des Frühstücks.

Biologisch betrachtet: Frühstück ≠ „erste Mahlzeit“

Die Schulmedizin und Ernährungsforschung spricht pauschal vom „Frühstück“ – und meint damit meist eine Mahlzeit frühmorgens, oft zwischen 6:30 und 8:00 Uhr, vor allem, wenn wir von Schülern sprechen.
Dabei ignoriert sie eine zentrale Variable: den Chronotyp.

Frühaufsteher (Lerchen)

  • Cortisolspitzen frühmorgens
  • hohe Aktivität direkt nach dem Aufstehen
  • Hunger am Morgen ist natürlich

 

Spättypen (Eulen)

  • Biologisch erst ab 9–10 Uhr „wach“
  • Verdauung noch nicht aktiv
  • Essen am frühen Morgen (z.B. nach Wecker) führt zu Trägheit, Übelkeit oder Glukosespitzen.

Der Punkt: Die meisten Schüler werden im Verlaufe der Pubertät bis zur Adoleszenz (ca. 20 Jahre) 1-2,5h später, was bedeutet: Deren biologisches Schlaffenster verschiebt sich um diese Zeit in den Vormittag hinein. Bei extreme Frühtypen unter den Kindern hat dies weniger Auswirkung als bei Normal, oder Spättypen. Und doch zwingt das System alle Kinder – egal ob Lerche oder Eule – zur gleichen Schul- und damit Essenszeiten wie z.B. eben die erste Mahlzeit am Tag. Ein biologischer Irrsinn.

Was sagen aber nun die Daten im Detail?

Studien, z. B. auf Basis der US-NHANES-Daten, zeigen:

  • Kinder, die das Frühstück auslassen, nehmen im Schnitt weniger Kalorien pro Tag auf
  • Die Gesamtenergiezufuhr ist reduziert, aber häufig nicht durch strukturierte Mahlzeiten ersetzt – sondern durch Snacks
  • Ernährungsqualität sinkt: weniger Ballaststoffe, Proteine, Vitamine – mehr Zucker und Fett
  • Viele Kinder, die „nicht frühstücken“, kommen effektiv auf nur zwei richtige Mahlzeiten pro Tag, statt 3.

Aber hier liegt der Haken:
Diese Studien vergleichen in der Regel nicht:

„Wie wirkt sich eine erste Mahlzeit um 10:00 Uhr (statt 7:00) auf die Tagesleistung und Gesundheit aus – bei sonst identischer Ernährung?“

Eine solche Studie wäre aber nötig, um den Effekt der Uhrzeit – und damit der inneren Uhr – zu isolieren. Doch die meisten Designs ignorieren diese Variable komplett. Sie vergleichen lediglich 3 Mahlzeiten (also inkl. Frühstück) mit Frühstückskippern mit nur 2 Mahlzeiten (also ohne Frühstück).

Folge: falsche Schlüsse, schlechte Empfehlungen?

Wenn nun Studien ergeben: „Kinder, die nicht frühstücken, schneiden schlechter ab“, dann wird daraus oft eine pauschale Empfehlung:

„Also müssen alle Kinder frühstücken – am besten gleich nach dem Aufstehen.“

Was dabei unterschlagen wird:

  • Viele Kinder (vor allem Spättypen) haben morgens noch keinen Appetit
  • Eine zu frühe Nahrungsaufnahme kann zu Übelkeit, Leistungseinbruch oder Verdauungsstörungen führen
  • Der Körper ist hormonell noch gar nicht bereit für Kalorienverwertung – die Folge: Blutzuckerschwankungen, Heißhunger, Trägheit

 

Die Schlussfolgerung der Studien lautet schlicht: „Nicht zu frühstücken ist schlecht.“

Also wird halt reingewürgt.

Die korrekte Schlussfolgerung müsste aber lauten:

„Eine strukturierte, hochwertige erste Mahlzeit ist wichtig – aber nicht zwingend am frühen Morgen.“

Es geht also nicht um das Weglassen von Frühstück, sondern um die Aufnahme einer ersten Mahlzeit zu dem Zeitpunkt am Tag, an dem der Körper diese auch bestmöglich metabolisch verarbeiten kann.

In diesem Bereich herrscht jedoch studientechnisch eher Funkstille!

Was heißt das für Eltern, Schulen und Gesundheitspolitik?

Es ist höchste Zeit, mit der Pauschalempfehlung „Frühstück für alle – und zwar früh“ zu brechen.

Stattdessen brauchen wir:

  1. Flexibilität im Schulstart
    → Spättypen sollten nicht um 6:30 Uhr aufstehen und um 7:00 essen müssen. Wenn kein Hunger besteht, dann nicht zu Essen zwingen, sondern ein gesundes Verständnis zum biologischen Rhythmus entwickeln.

  2. Individuelle Essenszeiten zulassen
    → Kantinen und Frühstücksangebote nicht nur „früh“, sondern auch z. B. um 9:30/10:00.

  3. Aufklärung statt Dogma
    → Eltern sollten verstehen, dass „nicht frühstücken“ nicht zwangsläufig schlecht ist – wenn die erste Mahlzeit bewusst und hochwertig erfolgt. Spätstück als Alternative zum Frühstück denken, und „Erste Mahlzeit am Tag“ kommunizieren.

  4. Chronotyp-gerechte Ernährungszeiten im BGM
    → Auch in der Erwachsenenwelt müssen wir weg von fixen Mahlzeiten und hin zu individuell passenden Taktungen.

Das Spätstück?

In der Ausbildung zum ChronoCoach® lehren wir nicht mehr den Begriff „Frühstück“.
Warum?

Weil er ein zeitlich normiertes Essensbild zementiert, das biologisch willkürlich ist.

Unsere Alternative:

„Für Spättypen ist das Frühstück ein Spätstück.“

Oder noch klarer:
Wir sprechen bewusst nur von der „Ersten Mahlzeit des Tages“ – und nicht von Frühstück.

Das ist keine semantische Spielerei, sondern ein extrem wichtiges Wording, um den Aspekt von Chronotypen zu manifestieren.

Fazit

Ich denke, wir sind uns alle in einem Punkt einig: Kinder brauchen Energie, Struktur und gute Nährstoffe, um zu lernen, sich zu entwickeln und gesund zu bleiben. Und wir Erwachsene brauchen Energie, um zu arbeiten und gesund zu bleiben

Aber das heißt nicht, dass diese Energie um 7:00 Uhr morgens aufgenommen werden muss.

Im Gegenteil:
Wenn wir Kindern – und auch Erwachsenen – erlauben, nach ihrem inneren Rhythmus zu leben, dann steigt nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Leistungsfähigkeit.

Und genau deshalb ist es Zeit, das Dogma zu hinterfragen – und durch individuelle, biologisch fundierte Lösungen zu ersetzen.

Vor allem sollte dies durch entsprechend offenes Studiendesign, wie oben beschrieben, einmal in den Fokus der Wissenschaft (Ernährung oder besser noch Chronobiologie) kommen.

ABER! Ich weiß nicht alles. Sollte es Studien geben, die ein entsprechendes Setting aufweisen, bin ich mega dankbar für einen Hinweis.

Tschüss Frühstück, welcome erste Mahlzeit am Tag?

Ok … „Erste Mahlzeit am Tag“ klingt sperrig, hat jemand eine Idee mit mehr Sexiness? Nimmt man trendige Abkürzungen, kommt „EMAT“ heraus. Ich bin mir sicher, bringt man den Kindern von Anfang an „EMAT“ bei, hat sich das „Frühstück“ in einer Generation erledigt. Aber … gibt es andere Vorschläge, und „EMAT“ steht auch für „electromagnetic acoustic transducer“ … ;-).

  • Wie stehst du zum Thema Frühstück?
  • Hast du selbst erlebt, wie „frühes Essen“ dir oder deinen Kindern geschadet hat?
  • Sollten wir Schulen und Kitas endlich rhythmusgerechter denken?

Denn Gesundheit beginnt nicht mit einem vollen Magen – sondern mit einem verstandenen Rhythmus.

Quellen

Alexa Hoyland, Louise Dye and Clare L. Lawton, „Nutrition Research Reviews“ , Volume 22 , Issue 2 , December 2009 , pp. 220 – 243 DOI: https://doi.org/10.1017/S0954422409990175

Adolphus K, Lawton CL, Dye L. The effects of breakfast on behavior and academic performance in children and adolescents. Front Hum Neurosci. 2013 Aug 8;7:425. doi: 10.3389/fnhum.2013.00425. PMID: 23964220; PMCID: PMC3737458.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23964220/

Wang K, Niu Y, Lu Z, Duo B, Effah CY, Guan L. The effect of breakfast on childhood obesity: a systematic review and meta-analysis. Front Nutr. 2023 Sep 6;10:1222536. doi: 10.3389/fnut.2023.1222536. PMID: 37736138; PMCID: PMC10510410.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37736138/

Kwon A, Kim S, Choi Y, Kim HY, Lee M, Lee M, Lee HI, Song K, Suh J, Chae HW, Kim HS. Effects of Early Wake-Up Time on Obesity in Adolescents. Child Obes. 2024 Apr;20(3):188-197. doi: 10.1089/chi.2023.0016. Epub 2023 May 11. PMID: 37166826; PMCID: PMC10979690.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37166826/

Asao, K.; Marekani, A.S.; VanCleave, J.; Rothberg, A.E. Leptin Level and Skipping Breakfast: The National Health and Nutrition Examination Survey III (NHANES III). Nutrients 2016, 8, 115. https://doi.org/10.3390/nu8030115

Referenzen

Referenzen
1 Empfehlung: ARTE Dokumentation „Die Wissenschaft der Meinungsmache“ zu Edward Bernays