Survivorship bias - Bild einer Familie. Kinder müde am Frühstückstisch, Vater sagt: Ihr seid so verweichlicht ... ich habe das auch überlebt!

„Wir haben es auch überlebt“ – Warum der Survivorship Bias unsere Kinder krank macht

Es ist einer dieser Sätze, die wahrscheinlich jede*r schon einmal gehört hat:

„Wir haben es doch auch überlebt.“

Ob es um frühes Aufstehen, harte Prüfungen oder die legendäre „Schule des Lebens“ geht – dieser Satz wird wie eine Art Gütesiegel benutzt, um jede Diskussion über notwendige Veränderungen im Bildungssystem abzublocken. „Peace of not knowing – Phänomen nennt man das auch!“

Doch genau hier liegt das Problem: Überleben ist kein Maßstab für Gesundheit.

Der Survivorship Bias in der Erziehung

Der Survivorship Bias beschreibt ein primitives Denkmuster, das das Aushebeln anderer Sichtweisen zum Ziel hat: Wir sehen nur die, die es „geschafft“ haben, und blenden die unsichtbaren Folgen aus. Zudem entziehen wir uns einer Definition von „Überleben“.
Es ist ein bestimmter Typus Erwachsener, die von ihren Schulerfahrungen erzählen – und die meinen, das sei der Beweis, dass es so schlimm schon nicht gewesen sein könne: „Aus mir ist ja auch etwas geworden!“

  • Was ist mit denjenigen, die am Überleben zerbrochen sind?

  • Was ist mit den Schüler*innen, die ihre Potenziale nie entfalten konnten, weil sie ständig müde, überfordert oder krank waren?

  • Was ist mit den unsichtbaren Narben, die sich erst Jahrzehnte später als Depressionen, Burn-out oder chronische Erschöpfung zeigten?

Sie alle sind Teil des Bildes – nur werden sie im Narrativ „Wir haben es überlebt“ systematisch ausgeblendet.

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Schlaf – das unsichtbare Fundament

Sehr deutlich zeigt sich das natürlich auch in meinem Spezialgebiet: Schlaf und Chronobiologie.
Schlaf ist kein Luxus, kein nettes Add-on für einen entspannten Tag. Schlaf ist die Basis aller kognitiven, emotionalen und physischen Prozesse. Ohne ausreichend und richtig getakteten Schlaf funktioniert kein Körper so, wie die Natur es vorgesehen hat. Vor allem gilt das für Kinder, denn hier werden die Grundlagen für das gelegt, was sich später aus ihnen entwickelt.

Die Wissenschaft ist hier deutlich:

  • Jugendliche sind biologisch Spättypen. Ihr Körper verschiebt Melatoninproduktion und innere Uhr nach hinten. Das hat nichts mit Faulheit oder gar Unwillen zu tun.

  • Schulanfang um 7:30 oder 8:00 Uhr bedeutet, dass Jugendliche systematisch gegen ihre Biologie leben. Teilweise werden sie in ihrer biologischen Schlafmitte aus dem Schlaf gerissen, um rechtzeitig zur Schule zu kommen.

  • Folgen: chronischer Schlafmangel, reduzierte Konzentration, erhöhte Stressanfälligkeit, gesteigerte Aggression, höheres Risiko für Depressionen und Suchtverhalten.

Und trotzdem hören Kinder und Jugendliche: „Stell dich nicht so an – wir mussten da auch durch.“


Die stille „Nicht normal“ – Botschaft

Die vielleicht gefährlichste Folge dieser Haltung ist psychologischer Natur.
Wenn Kinder spüren, dass ihre Müdigkeit, ihre Konzentrationsprobleme oder ihre emotionale Instabilität nicht anerkannt werden, entsteht ein fataler Effekt:

Sie halten sich selbst für „nicht normal“.

Anstatt zu erkennen, dass es ihr Körper ist, der schlicht nach biologischen Regeln funktioniert, glauben sie, mit ihnen stimme etwas nicht. Sie entwickeln Schamgefühle und Selbstzweifel, oft gepaart mit dem Druck, trotzdem „funktionieren“ zu müssen, und angefeuert von anderen Kindern, die den Duktus der Erwachsenen übernehmen.

Wir reden hier nicht über Einzelfälle. Wir reden über eine ganze Generation, die mit exponentiell steigenden mentalen Anforderungen in eine Zukunft geht.

Exponentiell steigendes Wissen – statische Regenerations - Strukturen

Das Wissensvolumen verdoppelt sich heute in einem Tempo, das frühere Generationen nicht einmal ansatzweise kannten. Junge Menschen müssen lernen, komplexe Systeme zu durchdringen, statt nur Fakten zu reproduzieren. Kreativität, Problemlösung und Resilienz sind die neuen Kernkompetenzen.

Doch wie soll das gelingen, wenn das Fundament – Schlaf, Regeneration, Konzentrationsfähigkeit – systematisch untergraben wird?
Die Strukturen unserer Schulen sind linear, starr, gleichmachend. Sie sind ein Relikt aus einer Zeit, in der Anpassung und Disziplin mehr galten als Kreativität und Innovationsfähigkeit.

Das Ergebnis: Wir bauen eine Gesellschaft auf, in der wir von der nächsten Generation Höchstleistung in einer sich beschleunigenden Welt erwarten – während wir ihr die biologischen Grundlagen dafür systematisch entziehen.

„Überleben“ reicht nicht!

Es stimmt: Viele aus meiner Generation haben die Schulzeiten überstanden. Doch damals ist nicht heute, und bei nicht wenigen gilt: Zu welchem Preis?

  • Burn-out-Raten steigen seit Jahren.

  • Psychische Erkrankungen nehmen rasant zu.

  • Schlafstörungen gehören längst zur „Normalität“ in unserer Gesellschaft.

Wir sind nicht „gesund“ aus diesem System hervorgegangen. Wir haben überlebt – ja. Aber wir haben auch gelernt, unsere Symptome zu unterdrücken, Müdigkeit als Schwäche zu sehen und Stress als Auszeichnung.

Und genau diese Haltung geben wir (un?)-bewusst weiter.

Ein Perspektivwechsel ist überfällig

Die entscheidende Frage lautet: Wollen wir, dass unsere Kinder überleben – oder wollen wir, dass sie leben und ihr Potenzial entfalten?

Um das zu erreichen, müssen wir endlich akzeptieren:

  • Biologie lässt sich nicht durch Disziplin aushebeln.

  • Schlaf ist kein Privileg, sondern eine Grundvoraussetzung für Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

  • Schul- und Prüfungszeiten, die ignorieren, wie Jugendliche chronobiologisch ticken, sind ein systematischer Angriff auf ihre Entwicklung.

 
 

Was zu tun ist!

  1. Spätere Schulanfangszeiten – angepasst an die innere Uhr der Jugendlichen. DAS kann übrigens jede Schule selbst entscheiden, da braucht es keine Politik.

  2. Prüfungen zu schlafkompatiblen Zeiten – nicht in den biologisch „toten Zonen“.

  3. Entstigmatisierung von Müdigkeit – Kinder müssen lernen, dass ihr Körper ihnen Signale gibt, die ernst zu nehmen sind.

  4. Aufklärung von Eltern und Lehrkräften – damit „Wir haben es auch überlebt“ endlich durch „Wir haben verstanden“ ersetzt wird.

Der Preis des Ignorierens

Wenn wir diesen Schritt nicht gehen, zahlen wir einen hohen Preis: eine hochdigitalisierte, aber ausgelaugte Generation. Das ist kein individuelles Problem, es wäre ein strukturelles Versagen.

Der Survivorship Bias hält uns gefangen in der Illusion, dass Vergangenheit automatisch Zukunft legitimiert. Doch was gestern „überlebt“ wurde, kann heute – unter völlig anderen Bedingungen – katastrophales Sterben im Leben bedeuten.

Dieser Artikel soll kein Appell für Bequemlichkeit sein, sondern eher ein Appell an den gesunden Menschenverstand:

Schlaf schafft für unsere Kinder heute die Grundlage für das, was unsere Kinder morgen leisten müssen.

Ignorieren wir das, berauben wir sie nicht nur der Chance, ihr Potenzial in einer exponentiell komplexer werdenden Welt wirklich auszuschöpfen, wir machen uns mitverantwortlich für die gesundheitlichen Auswirkungen.

Wenn du ehrlich zurückblickst – hast du die Schulzeit wirklich „gesund“ überstanden? Oder hast du nur gelernt, deine Müdigkeit so tief zu verdrängen, dass du sie bis heute für normal hältst?


Inspiration: 
https://www.eltern.de/familie-urlaub/familienleben/-wir-haben-es-ja-auch-ueberlebt—wie-der–survivorship-bias–die-sicht-auf-erziehung-verzerrt-13910130.html

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